Peitschenhiebe und liebliche
Balancen
HOT
Guter
Wein und gute Schärfe sind
eine seltsame Mischung.
Wer weiß, wie man beides
klug kombiniert, wird froh
VON
TILL EHRLICH,
02.04.2011
Wein und scharfes Essen passen scheinbar nicht zusammen. So lautete auch mein bisheriges Vorurteil. Richtig scharf gewürztes Essen kann einen an den Rand des Wahnsinns bringen. Manche lieben es, anderen ist es dagegen ein Gräuel. Besonders Chili verfügt über eine tückische Schärfe: Das Brennen des red hot chili pepper wird man nicht so schnell los, es lodert auf der Zunge und schwelt sogar im Rachen noch lange vor sich hin. Wasser und Säfte löschen das Feuer nicht, machen alles nur schlimmer. Auch Pusten hilft nicht, denn die Empfindung, die eine scharfe Speise auslöst, ist heiß, selbst wenn das Essen längst kalt geworden ist.
Viele Speisen der südamerikanischen oder asiatischen Küche wie Chili con Carne oder Thai-Curry sollen nur schmecken, wenn sie scharf sind. Doch Schärfe ist keine Geschmacksrichtung wie süß, sauer, salzig, bitter, umami oder fett, sondern eine schmerzhafte Empfindung, ein Peitschenhieb, weshalb man statt Geschmack von Reizung spricht. Schärfe wird nicht wie etwa Süße und Säure von Sinneszellen wahrgenommen, sondern als Reiz von den Nerven in den Schleimhäuten.
Am stärksten erregt Chili die Schmerzrezeptoren, es löst aber weder Verätzungen noch Verletzungen in der Mundhöhle aus. Vielmehr stimuliert es den Speichelfluss und kann kräftige Schweißausbrüche auslösen. Hinterher, wenn der Schmerz dann nachlässt, stellt sich Wohlbefinden ein. Der Schmerz, den der Chilischarfmacher Capsaicin im Essen auslöst, bewirkt, dass der Körper Endorphine ausschüttet, endogene Morphine. Scharfes Essen kann denn auch süchtig machen. Man kann sich daran gewöhnen, was dazu führt, dass man die Schärfe erhöht, um immer wieder dieselbe Erlösung erleben zu können. Gegen die Schärfe hilft kein Wasser. Fett dagegen sehr. Doch will man zum Essen wirklich ein Glas Öl trinken?
Besser schmeckt Wein - was zunächst ein Widerspruch ist. Denn beim Wein geht es vor allem um die differenzierte Wahrnehmung von Aromen, geschmacklichen Proportionen und Balancen, nicht um Peitschenhiebe. Dennoch sind scharfes Essen und Wein ein Thema, weil der Wein nicht nur den Chilischmerz lindern, sondern auch Widerpart zu einer scharfen Speise sein kann. Die Schärfe mit Wein zusammenzubringen ist aber kein Selbstläufer, sondern lediglich eine Frage von Dosierung und Verhältnismäßigkeit.
Neben der Intensität der Schärfe ist die Qualität der Speise ganz entscheidend. Generell darf man bei jedem scharfen Essen misstrauisch sein, da die Schärfe wie auch die Süße und die Säure sehr gerne dazu benutzt wird, über die Substanzlosigkeit einer Speise hinwegzutäuschen. So ist zum Beispiel schlechtes asiatisches Essen oft nur süßsauer oder nur scharf, denn dahinter verbergen sich wertlose Inhaltsstoffe.
Im chinesischen Restaurant Hotspot von Herrn Jianhua Wu im Berliner Bezirk Wilmersdorf habe ich jetzt eine ganz andere Erfahrung gemacht. Es ist ein unauffällig eingerichtetes Lokal, das weder hip noch kitschig wirkt, die Preise sind äußerst fair. Jianhua Wu kommt aus der Provinz Sichuan, die Chinas schärfste Küche hat. In Deutschland findet man die echte Sichuanküche kaum. Seit einigen Jahren ist Jianhua Wu auch Weinkenner, er hat sich in das Thema eingearbeitet und einen beachtlichen Weinkeller aufgebaut mit sowohl jungen als auch gereiften Weinen.
Bei meinem ersten Besuch stellte Jianhua Wu vor mir einen grauen Tontopf ab, der so heiß war, dass es in seinem Inneren gefährlich brodelte. Darin war geschmorter weicher Tofu mit Gemüse, das von einer roten Sauce bedeckt war. Jianhua Wu sagte nur, es sei ma, was in Sichuan der Ausdruck für den vollkommenen Grad der Schärfe ist.
Noch bevor ich es wagte, das Gericht zu
probieren, kam Jianhua Wu mit einem Arm voller Weinflaschen
herbei, aus denen ich jeweils einen Schluck zum Essen
probieren sollte. Es waren junge und gereifte Weine, rote
und weiße, trockene
und süße.
Der geschmorte Tofu war umwerfend saftig. Es war nicht die gewöhnliche Chilischärfe, sondern eine, die zuerst die Zunge leicht betäubte und dann ein angenehmes Kribbeln auslöste - wie nach einer Lokalanästhesie. Jianhua Wu lächelte und sagte nur: "Das ist ma-la."
Dafür war Sichuanpfeffer verantwortlich, der zusätzlich zum Chili in der Speise war. Es waren zwei verschiedene Schärfen, wobei die Sichuanpfefferschärfe interessanter und extremer schmeckte. Der Wein veränderte sich mit dem Tofu. Junger Moselriesling mit etwas Süße passte nicht so gut zum Tofu, die Süße des Weins war zu dominant und verband sich nicht mit der Schärfe. Das widerspricht der Weinregel, dass man zu scharfem Essen am besten liebliche Weine trinken sollte. Viel besser ging es mit einem gereiften Moselriesling, einer Spätlese mit etwas Süße aus dem Jahrgang 1994. Das ergab trotz der extremen ma-la-Schärfe eine ausgewogene Verbindung, da der leicht süße Wein die Schärfe harmonisierte und dabei trocken wirkte.
Ein junger trockener Riesling aus dem Rheingau gefiel mir am besten, weil er die Aromen und den Geschmack des Tofus intensivierte. Es war eine äußerst zugespitzte Kombination, nach dem Schlucken brannte die Schärfe noch im Mund, doch der Wein war trotzdem noch als Wein zu schmecken. Bei den Rotweinen passte gut ein junger, fruchtbetonter Spätburgunder aus der Südpfalz. Schwere Rote mit Eichengeschmack und intensiven Tanninen harmonierten nicht mit der Schärfe. Guter Wein und gute Schärfe sind eine seltsame Mischung, die mich an dem Abend euphorisierte.
Als ich sehr spät das Hotspot verließ, fühlte ich mich weder schwer noch betrunken, sondern seltsam aufgekratzt. Ich ging zu Fuß noch eine Stunde durch Berlin, ehe ich endlich ein bisschen müde wurde.
(Chili löst Schweißausbrüche aus. Wenn der Schmerz dann nachlässt, stellt sich Wohlbefinden ein.)
Edle deutsche Rieslinge und
authentische China-Küche
Donnerstag, 5. August 2010
Unweit vom Adenauerplatz,
versteckt in einer ruhigen
Seitenstraße, gibt es
seit einiger Zeit mit dem
Hot Spot ein
außergewöhnliches Restaurant
mit
authentischer chinesischer
Esskultur.
Es ist kein Lokal mit Löwen
oder lustigen roten Laternen
vor der Tür, es hat
auch
nichts mit den angesagten
Pan-Asia-Läden zu tun. Das
Hot Spot ist etwas
für
Puristen und Kenner der
chinesischen Küche.
Familie Wu hat bewusst auf
folkloristisches Beiwerk
verzichtet, um sich auf das
Wesentliche zu
konzentrieren: den
Geschmack. Gekocht wird nach
Original-Rezepten aus den
Provinzen Sichuan und
Jiangsu. Als Vorspeise gab
es eine sehr milde
Tofu-Suppe mit frischem und
knackigem Gemüse (2,90 Euro)
und einen köstlichen
Seetang-Salat, der mit rotem
Chiliöl und Knoblauch
gewürzt wurde
(3,90 Euro). Auf der
umfangreichen Speisekarte
geben kleine rote
Chilischoten Auskunft über
die Schärfe der Gerichte. An
den Werktagen bietet das Hot
Spot
von 12 bis 17 Uhr ein
preiswertes Mittagsmenü an
(6,00-7,50 Euro).
Das Knofi-Rind, Rindfleisch gebraten mit Gemüse, kostet sieben Euro und wurde mit duftendem chinesischen Reis serviert. Das Fleisch war zart und hatte eine wunderbare Schärfe. Die knusprig gebratene Ente mit Gemüse (7,50 Euro) hatte nichts mit der fetttriefenden Ente chinesischer Garküchen gemein. Sie schmeckte aromatisch und war für Entenverhältnisse mager und knusprig.
Abends und an den
Wochenenden sind die Plätze
des Restaurants schnell
besetzt. An den langen
Tischen wird getafelt und
debattiert, und Herr Wu wird
nicht müde, aus seiner
Weinkarte - die
Gastrokritiker für eine der
besten Riesling-
Sammlungen Berlins halten -
die wirklich perfekte
Ergänzung zum Essen
auszusuchen. Übrigens hat
das Hot Spot einen hohen
Promifaktor. Unter
anderem ist Berlins einziger
Zwei-Sterne-Koch Christian
Lohse regelmäßig
Gast bei Familie Wu. mas